Bekanntlich beginnt alles mit einer Idee – auch ein Blog. Und die kam mir schon vor mehreren Jahren – damals, als ich noch meine psychologische Beratungspraxis führte und mein eigenes digitales Schaufenster – also eine Website – hatte. Dort sollte auch ein Blog rein. Elegant geführt und mit hohem fachlichen Anspruch. Ein Projekt, das letztlich schlicht am Zeitmangel scheiterte.
Doch wie es halt so ist im Leben: Ideen kommen und gehen. Und manche kommen wieder. Diese Idee mit dem Blog kam auch wieder. Nicht mit einem Paukenschlag, nicht mit einem Getöse, wie es Mephisto einst für Dr. Faust inszenierte, als er sich ihm als des Pudels Kern zu erkennen gab. Nein, diese Idee kam leise wieder – durch die Hintertür, quasi. Wann genau, weiß ich nicht mehr. Was auch völlig unerheblich ist – sie war da. Hatte sich fest eingenistet – ganz oben, dort, wo die Gedanken nicht mehr denken, sondern einfach bleiben.
Offenbar ging es ihr wie Mephisto in Fausts Studierzimmer: Sie konnte nicht raus. Als hätte sich ein kleiner Drudenfuß in meinem Gehirn eingenistet, der ihr den Weg versperrte. Also blieb sie. Und wie das so ist mit diesen Dingen, die bleiben: Sie fangen irgendwann an zu reden.
Was folgte, waren Diskussionen. Mit mir. Und mit mir selbst. Mit der Idee. Und mit mir und der Idee gemeinsam. Ein inneres Gesprächsgewitter, das in seiner Besetzung einem völlig absurden Kammerspiel glich: Ich, ich selbst, die Idee und gelegentlich ein leiser Zweifel, der sich von der Seite her einmischte. Es war das reinste Tohuwabohu. Fest stand: Die Idee hatte sich im Dickicht des Denkens verfangen – sie saß wie ein Stachel im Fleisch, klebte wie eine Klette am Gedanken: Die Idee hatte sich in ihre eigene Idee verbissen.
Es war Zeit, dieses grimmige Schauspiel endlich zu beenden – also sprach ich ein kategorisches „Nein" aus. Und ich tat, was ich immer tue, wenn ich kategorisch „Nein" sage – ich verhandelte. Mit mir selbst, versteht sich.
Wenn Ideen schwanger gehen
Ich weiß nicht, wann es genau passiert ist – das weiß man hinterher ja nie so genau. Und ich weiß auch nicht, wie es passierte. Vielleicht war es die Summe der wiederholten Gedanken. Vielleicht ein besonders fruchtbarer Tag. Vielleicht auch nur ein unachtsamer Moment – man kennt das ja. Jedenfalls: Die Idee war unzweifelhaft schwanger. Die gedankliche Befruchtung musste irgendwann stattgefunden haben.
Und wie das bei Schwangerschaften eben so ist – irgendwann kommt unvermeidlich der Punkt, an dem man sich einrichten muss. Also begann die Suche nach dem für mich passenden System. WordPress war mir zu überladen, Squarespace zu perfekt, Wix zu freundlich. Ich suchte etwas, das nicht schreit, sondern atmet. Etwas, das nicht tut, was ich nicht will. Und möglichst wenig von dem hat, was ich nicht brauche.
Ghost schien vielversprechend. Textfokussiert. Schlank. Elegant. Schnell. Nur: Ghost funktioniert nicht von allein. Ghost will inspiriert werden. Zum Beispiel durch YAML-Dateien. Durch Pfade. Durch Einträge in der routes.yaml, einem unschuldig wirkenden Textdokument, das aber rigoros über Sein oder Nichtsein ganzer Seitenstrukturen entscheidet.
Ich scheiterte mehrfach. Ich fluchte. Ich las Dokumentationen. Ich verwarf. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass auch andere Menschen YAML hassen. Ich klickte, ich testete, dekonstruierte und fluchte wieder. Dann hörte ich plötzlich eine Stimme: „Du host’ des am foischn Server.“
Es war übrigens das erste Mal, dass ich Tante Erni begegnete.
Die Sache mit der Muse
Ich hatte erwartet, dass das Schreiben wie im Film beginnt: mit einer großartigen Eingebung oder brennenden Idee oder zumindest mit einem leichten Zittern der Hände. Aber nichts von all dem Hollywood-Kitsch passierte bei mir: Stattdessen saß ich da, starrte auf einen weißen Bildschirm und wartete darauf, dass mich eine Muse küsst. Irgendeine.
Sie kam nicht. Nicht am ersten Tag. Auch nicht am zweiten. Sie ließ sich Zeit. Als sie endlich kam, trug sie kein wallendes Kleid. Sie hatte Tinte an den Fingern, trug eine schiefe Brille und sah aus wie jemand, der nichts von Romantik hält.
Sie sprach nicht viel, eigentlich gar nicht. Sie sah mich nur an. Dann auf die Tastatur. Dann wieder mich. Bis ich verstand und anfing zu schreiben.
Der Anfang war nicht glanzvoll, weder ein literarischer Höhenflug noch ein ebensolcher Absturz. Es war eher ein sprachliches Dahinstolpern mit gelegentlichen Momenten der Koordination. Aber sie blieb, meine Muse. Sie saß auf der Lehne meines Denksessels, nickte hin und wieder und warf mir manchmal ein Wort zu, das ich längst vergessen hatte. Sie war keine große Muse. Keine, die sich feiern ließ. Aber sie kannte die Wege zu meinen Sätzen. Und das genügte.
Wie sie hieß? Ich weiß es nicht. Ich habe sie nie nach ihrem Namen gefragt.
Schreiben – aber für wen eigentlich?
Schreiben ist schön. Es ist still, aufgeräumt und nach innen gerichtet – zumindest theoretisch. Aber in der Praxis kommt sie irgendwann, die Frage: Für wen eigentlich, für wen schreibst du?
Also machte ich mich auf die Suche nach Antworten, sprich nach jenen, die Interesse an meinem Blog haben könnten. Ich entwarf Leserprofile, ordnete Altersgruppen zu und Leseverhalten. Ich erfand Zielgruppen mit Namen, persönlicher Haltung und Leselust. Und da waren sie: Klara, Markus, Verena, Robert – eine ganze Gedankenwohngemeinschaft stand da auf dem Papier. Alle mit unterschiedlichen Vorlieben. Alle vermeintlich interessiert an dem, was ich zu sagen hatte.
Ich entwarf Rubriken, Stile, Tonlagen. Ich entwickelte eine Navigationsarchitektur und verteilte Textformen wie Räume in einem Haus. Ich murmelte von Einordnung, Reflexion, Ironie, Haltung. Ich entwarf, verwarf, skizzierte neu, irrlichterte zwischen Zweifeln und trotzigem „Jetzt passt’s aber!" hin und her – und begann die ganze Prozedur von Neuem.
Und dann – als alles fast fertig war – stand er plötzlich da: Herr Karl. Er sah aus wie einer, der zu oft zugehört hat. Der zu viele Projekte kommen und scheitern sah. Der wusste, dass man nicht alles planen kann. Und dass manches, was man formuliert, seinen Kern verliert.
Herr Karl stand einfach da und sagte nichts. Beobachtete nur, schätzte ab, stufte ein. Erst nach einer ganzen Weile nuschelte er so etwas wie „Najo, schau ma hoit amol“.
Ich nickte. Er nickte zurück. Und irgendwann, während Herr Karl weiter nichts sagte und ich weiter schrieb, war es soweit …
Die Geburt
Er kam nicht plötzlich. Auch nicht schmerzlos. Aber er kam. Der Moment, in dem aus Idee, über einem Jahr Vorbereitung, vielen Selbstgesprächen, Zweifeln und Systemhürden endlich ein Text wurde, der das Licht des Internets erblickte. Der erste Beitrag – er stand da. Und das war viel.
Natürlich kam alles auf einmal. Der Zweifel. Die Freude. Die Frage, ob das jetzt wirklich jemand lesen würde – oder ob es nur eine stille Übung war, eine solche bleiben würde. Aber das war egal. Denn der erste Text war draußen. Und mit ihm kam eine Art von Erleichterung, die sich nicht in Klicks oder Likes messen lässt.
Es war keine große Geburt. Keine mit großem Applaus und Konfetti. Eher eine stille Niederkunft, irgendwo zwischen Editor-Fenster und Veröffentlichen-Button. Aber es reichte, um zu wissen: Jetzt ist er endlich da. gedankenwelten: ein Blog – mein Blog. Noch nicht groß. Noch nicht fertig. Aber endlich da.
Viel Glück, Kleiner!
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