Manchmal steht man da, schaut – und versteht die Welt nicht mehr. Es war letzten Samstag, als ich Zeuge eines im Grunde ganz alltäglichen Wahnsinns wurde: Ein Pärchen kommt aus einem Haus und steigt in ein Auto. Preisschild des mobilen Unterbaus sicher jenseits der 80.000 Euro, Motorleistung irgendwo zwischen Panzer und Formel 1. Der Motor wird gestartet und heult auf, dass die Spatzen erschrocken von den Dächern kippen. Dann rollt das Gefährt los – nicht Richtung Autobahn, nicht einmal bis zur nächsten Tankstelle. Denn nach etwa 300 Metern ist die Fahrt schon wieder zu Ende. Vor einem Restaurant. Die beiden steigen aus und gehen hinein.
Nein, kein Witz, sondern beobachtete Realität.
Nun könnte man sagen: Vielleicht war die Dame gerade schlecht zu Fuß. Oder der Herr litt unter starken Rückenschmerzen. Vielleicht. Aber vielleicht war es auch nur die Klimaanlage, welche die beiden verführte, den langen Trip mit dem Auto zu unternehmen – es war zwar kein heißer, aber immerhin ein sehr warmer Frühlingstag. Oder war es einfach der Wunsch, gesehen zu werden? Vielleicht war es auch nur reine Gewohnheit – jene Art der automatisierten Bequemlichkeit, die nicht fragt, was sinnvoll ist, sondern nur: „Wie schnell geht's und wie bequem haben wir’s?"
Aber genau da liegt das Problem aus meiner Sicht. Genau da. In dieser scheinbaren Banalität, die zur Gewohnheit geworden ist. In einem Alltag, in dem man für 300 Meter das Äquivalent eines Kleinflugzeugs startet – als gäbe es keinen Klimawandel, keine Energiekrise, keinen CO₂-Ausstoß, der uns kollektiv auf Kopf undd Füße fällt.
Man kann nicht die Verkehrswende fordern und gleichzeitig mit dem Porsche gleich ums Eck die Zigaretten holen. Man kann nicht von Umweltschutz reden und gleichzeitig den Motor für ein Stück Kuchen warmlaufen lassen. Es gibt Paradoxien, die funktionieren. Aber diese hier, diese funktionieren nicht. Absolut nicht.
Was hier vorfährt, ist nicht ein teures Auto, sondern eine billige Haltung. Eine besondere Form der arroganten Weltvergessenheit: Umweltbewusstsein? Steht an der Tankstelle. Nachhaltigkeit? Klingt gut, passt aber eigentlich nicht zu meinen Ledersitzen und der digitalen Instrumententafel. Und Klimaschutz? Der taucht in der Instagram-Story spätestens dann wieder auf, wenn man im Urlaub mit traurigem Blick vorm Gletscher steht – weil nichts mehr von ihm übrig ist.
Es geht hier nicht um den moralischen Zeigefinger. Wer will, kann SUV fahren, Fleisch essen und auf Kreuzfahrt gehen – aber bitte ohne Heiligenschein. Und vielleicht mit einem Mindestmaß an Ehrlichkeit. Denn solange das Alltagsverhalten so gar nichts mit ökologischer Vernunft zu tun hat, bleibt jede Debatte über Klimaziele bloß eine rhetorische Gymnastikübung.
Tante Erni, die neben mir herging, meinte trocken: „Na ja, Hauptsache der Motor klingt männlich. Den Planeten kann man ja später retten.“ Das trifft den Nagel auf den Kopf. Denn in einer Welt, in der Image alles ist, verkommt Klimaschutz zum geistigen Hintergrundrauschen, das immer leiser wird, je lauter der Motor der Unvernunft röhrt.
Es geht nicht darum, wegen jeder Autofahrt gleich einen moralischen Feldzug zu starten. Aber es geht darum, zu erkennen, dass unsere Entscheidungen – gerade die kleinen – nicht ohne Folgen bleiben. Der CO₂-Ausstoß beginnt nicht erst mit der Flugreise nach Bali, sondern schon bei der Frage, ob man die 300 Meter zum Wirtshaus nicht auch zu Fuß hätte gehen können.
Vielleicht ist der Weg hin zur Verkehrswende gar nicht so weit. Vielleicht sind es nur 300 Meter. Zu Fuß. In Stille – ohne dröhnende Apokalypse unterm Hintern.
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