Wer nicht gerade einen Multi-Autoren-Blog betreibt, schreibt in der Regel nur mit einer Stimme, so wie es hier der Fall ist. Umso mehr wird es Sie vielleicht überraschen, dass in dem einen oder anderen Beitrag plötzlich eine Tante Erni oder ein Herr Karl auftaucht und etwas hineinmeckert. Das mag zunächst irritieren: Was also hat es mit diesen beiden „Meinungsmachern“ auf sich?

Ich habe mich entschieden, diesem Blog zwei fiktive Stimmen hinzuzufügen – eben Tante Erni und Herrn Karl –, weil ich der Überzeugung bin, dass komplexe Gedanken Kontraste brauchen. Nicht jede Meinung und jede Idee lässt sich mit einem kategorischen: „Und Punkt!“ abschließen. Bei manchem davon braucht es ein Fragezeichen. Ein Stirnrunzeln. Oder ein leises: „Na ja…“.

Mit Tante Erni und Herrn Karl möchte ich solche Kontraste bieten – sie sind zwei fiktive Figuren, die in diesem Blog mitdenken, mitreden, widersprechen oder vielleicht auch nur kopfschüttelnd daneben stehen. Sie sind keine Karikaturen, sondern Archetypen. Sprachlich zugespitzt, aber aus dem Leben gegriffen. Sie sollen dabei helfen, unterschiedliche Sichtweisen zu beleuchten – nicht belehrend, sondern beobachtend. Aber manchmal auch – entlarvend.

Tante Erni - Hausverstand zwischen Tiefgang und Häferlkaffee

Tante Erni kennt man. Nicht unbedingt persönlich, aber irgendwie vielleicht doch. Sie steht für den bodenständigen Blick aufs Weltgeschehen, für das unaufgeregte Urteilsvermögen, das sich weniger aus der Theorie als aus der Erfahrung heraus speist. Sie sagt, was sie denkt – aber nie, um zu verletzen. Ihre Sprache ist österreichisch eingefärbt, aber verständlich für alle, die noch wissen, wie sich ein Hausverstand anhört, der noch nicht im Twitter-Tweet-Tweet denkt.

Sie ist keine Expertin, keine Ideologin, keine große Rednerin – und gerade deshalb trifft sie oft ins Schwarze. Manchmal naiv, manchmal erstaunlich klarsichtig. Manchmal konservativ, und manchmal auch erstaunlich modern. Wenn sie sich zu Wort meldet, dann meist mit einem trockenen „Na geh…“. Oder einem resignierten „Weit hammas bracht“. In diesem Blog ist sie Kommentaranker, Denkspiel, Perspektivkontrast – und manchmal auch einfach die Stimme, die uns daran erinnert, dass wir alle irgendwo einmal Nachbarn, Tanten oder Kollegen wie sie hatten.

Herr Karl - oder wie man Pinzipientreue ohne Prinzip zum Prinzip erklärt

Herr Karl hat Prinzipien. Sein oberstes Prinzip ist, keines zu haben, denn Herr Karl ist von Berufs wegen opportunistischer Haltungsakrobat. Und als solcher weiß er, dass Prinzipien kommen und gehen. Dementsprechend wechselt er von Zeit zu Zeit seine Prinzipien wie seine Hemden: Nicht aus Bosheit, nein, sondern aus opportunistischer Gewohnheit. Denn Herr Karl war schon immer einer von denen, die mit dem Strom schwimmen – selbst dann, wenn der Fluss noch so braun daherkommt und und noch so gewaltig stinkt.

Wer Herrn Karl zuhört, hört keine große Empörung, keine klaren Haltungen, keine Aufrufe zur Veränderung. Dafür viele Sätze, die mit „Na jo…“ beginnen und mit „Na jo, do kaunn ma hoit nix mochn, oda?“ enden.

Herr Karl ist Opportunist mit Alltagstauglichkeit. Einer der sich anpasst, weil er gelernt hat, dass Reibung kostet. Der lieber zusieht, wie Dinge schiefgehen, als sich selbst unbequem zu betten. Er erkennt das Falsche, aber nennt es klug „die Realität“. Moral ist für ihn etwas für Sonntagsreden, aber nichts für Dinge, die am nächsten Montagmorgen gesagt und entschieden werden.

In diesem Blog steht er für das Stimmengewirr der Angepassten. Für das Zögern, das Kleinreden, das Wegsehen. Nicht um solches gutzuheißen – sondern um es sichtbar zu machen. Herr Karl bringt keine Lösungen hervor: Das kann er nicht – wie auch? Aber er erinnert uns daran, warum wir so oft keine finden.

Wenn Tante Erni seufzt und Herr Karl grinst

Die Tante Erni und der Herr Karl sind keine Gegenspieler im klassischen Sinn. Sie kämpfen nicht gegeneinander, dafür reden sie oft und gern aneinander vorbei. Genau da liegt für mich ihr Wert: Denn wo sie sich begegnen – im selben Thema, im selben Absatz und manchmal auch im selben Satz – da entsteht ein Raum zwischen ihren Stimmen. Ein Raum, in dem man denken kann.

Wenn Tante Erni seufzt, weil sie nicht versteht, wie wir so werden konnten, wie wir geworden sind, dann grinst Herr Karl leise – denn er hat längst verstanden, dass wir immer schon so waren: Wenn sie den Mut beschwört, ruft er zur Vernunft. Wenn sie das Herz sprechen lässt, zählt er die Risiken auf. Gemeinsam bilden sie kein Urteil – aber sie legen den Untergrund frei, auf dem man sein eigenes bilden kann.

Tante Erni und Herr Karl sind Spiel, Spiegel, Reibefläche und Widerhall. Und manchmal sagen sie Dinge, die ganz sicher fast niemand sagen würde – aber ganz sicher viele denken.