Es gibt Zeiten, da helfen Nachdenklichkeit und Stil nicht mehr weiter. Also weiche ich heute von meiner sonst eher nachdenklichen Seite hier ab. Was bleibt einem auch anderes übrig, will man die ersten 100 Tage von Donald J. Trumps Herrschaft – anders lässt sich sein Amtsstil wohl kaum bezeichnen – überhaupt noch irgendwie kommentieren? Trump lässt einem keine Zeit, stilvoll zu überlegen, was seine Raserei bedeutet. Nicht nur für Amerika – auch für den Rest der Welt, der ebenso hilf- wie ratlos zuschaut, wie Taifun „Donald” heranrollt.
250 Jahre Demokratie – das muss jedes andere demokratisch geführte Land Amerika erst einmal nachmachen. Gegründet 1776, funktioniert das, was aus unserer europäischen Sicht oft eher wie ein staatsphilosophisches Abenteuer aussieht, erstaunlich gut und stabil.
Bis Donald J. Trump zum zweitenmal auftauchte und sie nun mit dem Instinkt einer Abrissbirne und mehr Ego als Plan, regelrecht vergewaltigt.
In gerade einmal 100 Tagen hat er geschafft, wofür Weltwirtschaftskrisen, blutige Bürgerkriege und zwei Weltkriege zusammen nicht ausgereicht haben: Amerikas Demokratie an den Rand des Nervenzusammenbruchs zu treiben.
In der kurzen Zeitspanne seiner zweiten Regentschaft hat „The Donald“ mehr als eindrucksvoll bewiesen, dass man auch ganz ohne Kompass, Sicherheitsgurt oder die geringste Ahnung, was man tut, mit Vollgas durch sämtliche Institutionen brettern kann. Die Helden der Formel 1 oder der NASCAR von Daytona Beach wirken gegen ihn wie gemächliche Pensionisten in ihren Golfcarts, wenn man sieht, mit welchem Affenzahn er sich an Amerikas Demokratie, Wirtschaft und sozialem Gefüge abarbeitet – und nicht nur dort.
Mit einem Tempo, bei dem selbst hyperaktive Erdmännchen hektische Zuckungen kriegen, eröffnete seine Administration von Beginn an Baustellen auf allen Ebenen von Amerikas Demokratie. Einen Plan? Braucht’s nicht. Trump kommt schließlich vom Bau – er kennt sich aus. Wie überhaupt „no one on earth“ so viel Ahnung von allen Dingen dieser Welt hat wie er. Albert Einstein? Nur ein verirrter Gehirnzwerg, dessen Relativitätstheorie gegen Trumps blendendes Absolutheitsaxiom verblasst wie dunkle Materie gegen eine galaktische Supernova.
Während vor allem die Demokraten in den letzten 100 Tagen angesichts der Kühnheit und des Tempos von Trumps Vorgehen mit offenem Mund und glasigem Blick regungslos verharrten, setzte dieser auf ein deutlich einfacheres und aus seiner Sicht wirkungsvolleres Erfolgsmodell: draufhauen, demolieren und die Trümmer anschließend als epochalen Triumph verkaufen. Und wo’s mal hakte, ließ er Elon Musk mit der Kettensäge anrücken und die Sache in seinem Sinne zurechtfuhrwerken – und der kann fuhrwerken, das muss man ihm lassen.
Donald Trumps Gegner hingegen schlurfen wie verirrte Senioren in Hauspatschen auf einem Sonntagsspaziergang dahin, während er in einem 1100-PS-Bugatti ohne Lenkrad und Bremsen alles umpflügt, was ihm gerade in die Quere kommt. Man müsste bis zu Franklin D. Roosevelt und seinem „New Deal“ zurückblättern, um eine vergleichbare Anfangsdynamik zu finden – allerdings hätte FDR vermutlich rückwärts aus dem Amt fliehen wollen, wäre ihm klar gewesen, in wessen Gesellschaft sein Name da auftaucht.
Dieses atemlos-radikale Dauerfeuer gegen alles was nicht Trump heißt oder von Trump kommt, speist sich aus seinem unerschöpflichem „thumos“ – jener antiken Mischung aus Wut und Eitelkeit, die sich hier lustvoll paart mit seinem unbändigen Drang, überall der größte, beste und wildeste Bub im Sandkasten zu sein. In der Antike galt „thumos“ übrigens als die Kraft, die einen Menschen zu großem Handeln antreibt – zum Guten oder zum Schlechten.
Bei Trump scheint wohl eher Zweiteres zu gelten. Denn seine Mission scheint zu lauten: niemals denken, aber immer möglichst destruktiv handeln. Sein Antrieb sind Groll, Machthunger und die unerschütterliche Überzeugung, dass die Welt erst dann völlig rund läuft, wenn er sowohl deren Achse als auch Mittelpunkt ist.
Es ist nicht etwa so, dass Trump Institutionen reformieren wollte. Vor allem sinnvolle Reformen sind aus seiner Sicht etwas für Langweiler und Bedenkenträger. Trump geht es um das große Ganze: den totalen Umbau der USA mit der Feinfühligkeit eines Presslufthammers. Was nicht sofort nachgibt, wird eben mit Anlauf gerammt. Was sich widersetzt, wird via Twitter öffentlich exekutiert. Und was trotzdem noch stehen bleibt, wird später in einer nächtlichen Laune mit einer neuen Executive Order dem Erdboden gleichgemacht.

Donalds Trümmertruppe
Das Kabinett der Absurden
Trumps Regierungskabinett ist eine wilde Mischung: Sie besteht aus Lobbyisten, Milliardären, Verschwörungstheoretikern und anderen „Lichtgestalten“, die allesamt so wirken, als hätten sie sich für ein Ferialpraktikum beim Fleischhacker gleich gegenüber beworben. Wer das wirklich Absurde politischer Fehlbesetzungen sucht, sollte einen Blick auf Trumps Besetzungsliste werfen.
Da wäre zum Beispiel Pete Hegseth, der sich rührend bemüht, „Signal“ als neue Staatsreligion zu etablieren – wobei „Signal“ hier weniger für Kommunikationstechnologie als vielmehr für den verzweifelten Notruf an die Vernunft steht. Wer Anleitung fürs Krankwerden braucht, kann sich vertrauensvoll an Robert F. Kennedy Jr. wenden – Spezialgebiet: medizinische Märchenstunde mit anschließender Hochgeschwindigkeitsfahrt Richtung Notaufnahme.
Für den Bereich „politische Selbstverzwergung“ wiederum steht J.D. Vance parat – dereinst ein vehementer Kritiker Trumps, heute auf Knien robbend in dessen Bugwelle und bemüht, dabei möglichst staatsmännisch zu wirken. Und damit auch wirklich niemand auf die Idee kommt, es könnte in diesem Personalreigen noch einen Rest von Seriosität geben: natürlich muss Marjorie Taylor Greene mit in diese Aufzählung – als eine Art wandelnder Aluhut auf zwei Beinen, stets bereit, jede noch so absurde Verschwörungstheorie mit patriotischem Pathos zu garnieren.
Nun könnte man der Ansicht sein, mit einer solchen Truppe wäre das Schlimmste schon erreicht. Aber weit gefehlt. Donald Trumps Kabinett der politischen Wundertüten – alle halb Revoluzzer, halb Reklamationsabteilung – setzt an, die amerikanische Demokratie zu behandeln wie einen schlecht gepflegten Gebrauchtwagen: Haube auf, Teile rausreißen, planlos daran herumschrauben und hoffen, dass das Ding am Ende irgendwie schneller fährt. Oder wenigstens lauter röhrt. Wenn nicht – auch gut, wen stört’s schon: Ab damit auf den Schrotthaufen der Demokratie.
Die meisten Ministerien wirken seit Anfang Februar dieses Jahres wie Altbauten, bei denen zwar da und dort noch Licht brennt, aber niemand mehr zuhause ist. Wie überhaupt scheint Trump Personalpolitik nach einem – seinem – klaren Prinzip betreiben zu wollen: Wer sich am besten dafür eignet, ein Ressort möglichst schnell an die Wand zu fahren, kriegt den Job.
Manchmal beschleicht mich das Gefühl, Trump hätte Clausewitz gelesen – allerdings rückwärts und voll auf Drogen. Permanente Offensive, maximale Reibung, völlige Zermürbung des Gegners: Das Lehrbuch revolutionärer Eroberung wird von ihm quasi „all in“ abgearbeitet. Nur dass seine Gegner nicht Russland oder China sind, sondern die eigene Verfassung, der eigene Rechtsstaat und alles, was irgendwann einmal unter „zivilisierte Gesellschaft“ subsumiert wurde.
Und während Amerikas traditionelle Eliten noch in Harvard-Seminaren darüber sinnieren, wie man Kompromisse schließt und Governance betreibt, schlägt Trump ihnen mit der rhetorischen Axt die Türen ein: Was zählt, ist nicht Argumentation, nicht Diplomatie – was zählt, ist das Bild: Der große, starke Mann, der den Saustall ausmistet. Nur dass am Ende, wenn der Staub sich gelegt hat, oft nichts mehr steht außer einem Trümmerfeld und einem goldenen Namensschild, auf dem „Donald J. Trump“ in Großbuchstaben prangt.

Amerika im Dämmerschlaf der Krise
Während Trump am Himmel thront, versinkt das Land in dumpfer Trägheit
Langsam dämmert es offenbar auch den gepflegtesten Intellektuellen Amerikas: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Wissenschaft und offene Gesellschaft sind keine Selbstverständlichkeiten – sie sind von früheren Generationen mühsam, oft mit viel Blut erkämpfte Erbstücke, die man verteidigen sollte. Widerstand beginnt sich zu regen – aber leider nur zaghaft. Viel zu zaghaft.
Während Trump und seine Trümmertruppe weiter die Fundamente einreißen, als gäbe es kein Morgen, dafür aber einen Preis für die schnellste Selbstzerstörung einer Republik, sitzen viele noch immer in ihren akademischen Elfenbeintürmen, ringen um die perfekte Formulierung und hoffen, der Spuk möge sich von selbst erledigen. Doch der Donaldsche Spuk legt keinen Wert auf Höflichkeit, nimmt sich keine Pause für Feuilleton-Debatten und handelt schon gar nicht mit Rücksicht auf historische Sensibilitäten.
Wer glaubt, mit aufrechten Leserbriefen, empörten Tweet-Stürmen oder ruhigen Mahnwachen in gepflegtem Kaschmir den Angriff auf Amerikas Institutionen abwehren zu können, wird bald feststellen, dass auch der allerschönste und stabilste Hochsitz der Moral irgendwann von Taifun „Donald” niedergerissen, kleingehackt und weggeblasen wird.
Für Amerika als Institution reicht es nicht mehr, nur empört zu sein. Es reicht für dieses Land nicht mehr, nur zu lamentieren. Wer die Trümmer verhindern will, die Trump nicht nur zum Schaden aller Amerikaner, sondern der ganzen Welt verursacht, muss endlich den Staub der Bequemlichkeit abschütteln und den politischen Presslufthammer auspacken. Sonst wird man bald nicht mehr über den Zustand dieser Demokratie diskutieren müssen – sondern bestenfalls noch über die Verwertung ihrer Überreste: Putin und Xi reiben sich schon jetzt eifrig die Hände.
Wer geduldig darauf wartet, dass sich der Trumpismus von selbst erledigen wird, kann sich auch gleich einen Liegestuhl auf den Trümmerfeldern der Demokratie reservieren. Die Zeit des feinen Abwägens ist vorbei. Amerika braucht jetzt endlich den Mut, die Entschlossenheit und die Bereitschaft, die bereits stark zerfledderte Betriebsanleitung für eine freie Gesellschaft wieder in die Hand zu nehmen – nicht als sentimentales Erinnerungsstück, sondern als Kampfansage.
Es reicht nicht, sich intellektuell und moralisch überlegen zu fühlen. Und es reicht nicht, klügere Argumente parat zu haben. Geschichte wird nicht von jenen geschrieben, die am leisesten seufzen, sondern von denen, die handeln, bevor das letzte Fensterglas zersplittert. Und handeln heißt: die Bastionen der Vernunft nicht nur zu bewundern – sondern sie auch zu verteidigen. Und zwar mit allem, was sich in diesem Land an klarem Verstand, Zivilcourage und hartnäckigem Widerstand aufbieten lässt.
Denn eines ist mehr als sicher: Taifun „Donald” zieht weiter, ob man nun Tee trinkt und bedächtig klatscht – oder endlich aufsteht und sich ihm entgegenstellt.
In diesem Sinne: Hey, Amerika, wach endlich auf – Du bist es nicht nur Dir selbst, Du bist es der ganzen Welt schuldig!
Anmerkung: Dieser Text ist eine polemische Momentaufnahme. Er erhebt weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Milde.
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